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Aus der weiblichen Fülle der Erde

Die Lebenszeugnisse der Ulrike Truger

Werner Kitlitschka

Ulrike Truger liebt Steine, sucht sie in den Steinbrüchen wie verlorene Schafe, nimmt sie als Geschenke der Natur. Der Stein als Geschenk aus der weiblichen Fülle der Erde.

Truger sieht in der Form und der Beschaffenheit desSteines, der mächtig und viele Tonnen schwer sein kann, herausfordernde Möglichkeiten, unzählige humane Spannungsfelder ins Bewusstsein zu rufen.
Blockhaft gedrungen, in sich gekehrt kann der Stein sein oder auch als Stele gleich einem Springquell in die Luft ragen, umflutet vom Sonnenlicht.
Die bearbeitende Hand Ulrike Trugers gibt dem Stein handwerkliche Textur und unverwechselbare handschriftliche Passagen. Der Stein wird zum Träger kraftvoll eingetragener Spuren, er wird zur Handschrift mit den spontanen Notationen dynamischer Berührung – sinnlich, erotisch, erschöpfend. Die Steine sind gewissermaßen Manuskripte mit den Aufzeichnungen persönlicher Erschütterungen und wundreibender Einsätze.
Eigentlich sind es die zupackenden liebkosenden Hände der Künstlerin, die sich als Chiffren in die harten,meist hellen und kristallinen Substanzen einkerben. Zerklüftungen und Verfärbungen können mit diesen
asketischen Einprägungen und graphischen Strukturierungen brückenartig verbunden oder als Felder eigenen Lebens für eine Landkarte eines unbekannten Landes eingegrenzt werden.
So sind die Steine imponierende Hervorbringungen geologischer Langzeitereignisse einerseits und Träger psychischer Notationen andererseits – bildhauerisch strukturierte “Seelenlandschaften”. Auf solch gewaltsam titanischen Zugriff und zugleich sensibel tastendesVerfahren hat sich in der Steinskulptur Europas innerhalb der vergangenen Jahrhunderte bis in die Gegenwart mit vergleichbarer Radikalität kaum jemand sonst eingelassen.
Ulrike Truger nimmt ihre Steine als Geschenke an,transformiert sie mit größter Leidenschaft – schaffend und zugleich leidend – zu ästhetischen Gebilden und schenkt sie als ihre Lebenszeugnisse der Welt. Die Werke wenden sich an Menschen, artikulieren Freiräume, markante Plätze der Städte und essentielle Punkte in der Landschaft. Als hochaufragende Stelen sind sie in manchem den Obelisken der Vergangenheit vergleichbar und vermitteln ihren Orten eine faszinierende, Energie stimulierende Aura.
Für viele spontan wahrnehmbar, finden sich Trugers Steine in Räumen, in die hinein sie, durch die Tätigkeit der Künstlerhände aufgeladen, kraftvolle Wirkungen entfalten können. Die Steine bilden gewissermaßen Kraftfelder aus. Zugleich aber positioniert die Bildhauerin ihre Steinsetzungen mit Vorliebe und politischem Engagement unter dem Aspekt besonderer Sinngebung an Grenzlinien menschlicher Orientierungen und Verhaltensweisen. Auf diese Weise will die Künstlerin, von Medien und Politik häufig auch miss- oder gar nicht verstanden, über mentale Zäune und Mauern hinweg Seelenverkrustungen aufbrechen und der Gesellschaft die Augen öffnen für die Totalität ausgesetzter und bedrohter menschlicher Existenz.
Ulrike Trugers Arbeiten: Steine als Matrix der Psyche, Steine als Werkzeuge zur Zertrümmerung der unterschiedlichen Kerker menschlicher Würde, Steine als Wegzeichen dynamischer Wandlungen in eine offene Zukunft.

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